Visionärin, Wegbereiterin, Vordenkerin: Ida Rolf und das Rolfing (Strukturelle Integration)
Die promovierte Biochemikerin Ida Rolf entwickelte in der 1950er Jahren eine Methode, durch eine systematische manuelle Behandlung der Faszien Spannungsmuster im Gewebe zu optimieren und das Gleichgewicht der Körperstruktur wieder herzustellen. Unzählige Menschen haben seitdem von der Strukturellen Integration bzw. Rolfing profitiert, die über die Jahrzehnte in ihrer Ausübung verfeinert wurde.
Berufliches Interesse und durch chronische Krankheiten in der Familie motiviert, begann Ida Rolf, mit Menschen zu arbeiten. Sie entdeckte, dass der menschliche Körper und seine Struktur durch Bindegewebsmanipulation sehr stark veränderbar sind.
Ida Rolf
© David Kirk Campbell
Faszien verleihen dem Körper seine Gestalt, sie bestimmen durch ihren Spannungszustand die Stellung der Knochen und sind grundlegend für die muskuläre Balance. In 10 aufeinander folgenden Sitzungen wird der Körper re-strukturiert und wieder in die optimale Aufrichtung in der Schwerkraft gebracht.
Der Mensch nimmt eine entspannte, aufrechte Haltung ein, und der Körper braucht weniger Kraft aufzubringen, um sich aufrecht zu halten. Nervensystem, Atmung, Kreislauf und Stoffwechsel funktionieren besser.
Neben der Anwendung bei gesundheitlichen Problemen (Beckenschiefstand, Skoliose, altersbedingten Verformungen und Verhärtungen von Knochen und Muskeln etc.) nutzen auch viele Künstler*innen, Tänzer*innen und Instrumentalisten diese Methode, um sich energiesparender und eleganter bewegen und feinfühliger ausdrücken können.
Meine eigene Leidensgeschichte und der Erfolg mit Rolfing
Rückenschmerzen gehörten für mich jahrelang zum Klavierspielen dazu, Diagnose Skoliose und Beckenschiefstand. Ich wurde massiert, mit Reizstrom behandelt, Akupunktur und und Krankengymnastik, manuelle Therapie, Physiotherapie und Schuhsohlenerhöhungen folgten. Ich trieb Sport und kräftigte meine vermeintlich schwachen Muskeln. Der Effekt war meist eine Besserung, aber nie eine wirklich dauerhafte Veränderung.
Meine Klavierlehrer*innen konnten mir diesbezüglich nicht helfen. Die Ausrichtung des Unterrichts war eher auf die technische Perfektionierung der Stücke ausgerichtet. So konnte ich Rachmaninoffs Prélude in g-moll mit dem wunderschönen Mittelteil, der links einen durchgehenden Lauf erfordert, trotz jahrelangen Übens nicht spielen: die linke Hand verkrampfte unter Schmerzen. Es war zum Verzweifeln.
Die Schuld für das Misslingen bei mir selber zu suchen, war der falsche Ansatz. Ich war schon immer aufgeschlossen und interessiert, was gesundheitliche Dinge betraf.
Die Methode des Rolfing war in den 80ern in Deutschland noch relativ unbekannt. Ich las mich ein, studierte Berichte und war begeistert von Vorher-Nachher-Fotos. Für mich war sehr schnell klar: diese Behandlung könnte eine Lösung meiner Probleme bieten und endlich die wahren Ursachen korrigieren.
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Tatsächlich gab es zu dieser Zeit mehrere ausgebildete Behandler*innen in Freiburg. So begann ich die Neustrukturierung meines Fasziengewebes in 10 Sitzungen über einen Zeitraum von ca. einem halben Jahr.
Das Endergebnis nach einigen Monaten war Schmerzfreiheit, Aufrichtung und Begradigung. Ich bekam ein bewussteres Wahrnehmen meines Körpers und auch meiner Umwelt. Auf Anhieb konnte ich den Rachmaninoff verkrampfungs- und schmerzfrei durchspielen, obwohl ich das Stück bis zum Ende der Rolfing-Therapie micht mehr geübt hatte.
Ich musste keine Muskeln mehr stärken, das Becken wurde waagrecht und die Skoliose verringert, die Schuhsohlenerhöhung war Geschichte. Das Ergebnis hielt über ein Jahrzehnt an. Welch andere Therapieform schafft so etwas Fundamentales?
Konsequenzen des Rolfings in meiner Klaviermethodik
Viele meiner Schüler*innen wundern sich, wenn ich sage: bleibe beim Spielen aufrecht, bleibe ruhig. Es geht dabei nicht um eine künstliche Erstarrung, sondern um den effizientesten Zustand, indem sich ein Körper kräftemäßig befinden kann. Aus diesem Nullpunkt heraus sind dann Bewegungen des Körpers beim Spielen sinnvoll. So kann eine erfolgte Bewegung wieder schnell in die Ruheposition zurück pendeln.
Es ist erstaunlich, mit wie wenig Aufwand man Klavier spielen kann. Das Becken ist waagrecht auf dem Sitz positioniert und so die Organe optimal wie in einer Schale gestützt, man sitzt ausbalanciert in der Schwerkraft, Spannung und Entspannung der Muskulatur und des Gewebes halten sich optimal die Waage. Nachvollziehbar, dass diese Herangehensweise ganz grundsätzlich Energie spart bzw. die Energie reibungsloser in die Finger fließen kann.
Ich habe selber erfahren, wie es das Spielen einer Chopin-Etüde vereinfacht, wenn ich ruhig am Klavier sitze und mich nicht zu viel zur Musik bewege. Aufmerksamkeit, Besonnenheit und Kontrolle stellen sich ein, schwierige Stellen gelingen leichter.
Ich bringe meinen Schüler*innen ein Bewusstsein für Körperarbeit am Klavier bei. Alle Bewegungen sind gut, die für die Gestaltung des Tones wichtig sind. Dies bedeutet keine Starre, sondern im Gegenteil das bewusste Einsetzen einer Bewegung, um einen Ton und seinen Klang wirklich gewollt zu verändern. Die Durchlässigkeit des Gewebes ergibt zudem einen weichen, angenehm klingenden Anschlag bzw. Kern eines Tones.
Pianist*innen, die sich stark am Klavier bewegen, haben dies zwar perfektioniert, und manche Töne gelingen nur deshalb so, wie sie klingen, weil sie an eine bestimmte Bewegungsform gekoppelt und im Gehirn abgespeichert sind. Das wirkt oft unglaublich emotional, und viele Menschen lassen sich davon als vermeintlich besonderem Qualitätsmerkmal mitreißen.
Eine Hauptaufgabe des Klavierspielens besteht also immer darin, alles auszuschalten, was im Wege steht, Spannungsmuster zu reduzieren, Blockaden aufzulösen, nur die Muskeln einzusetzen, die man wirklich braucht und die innere Mitte zu finden.